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Ich habe richtig Glück: Meine Quarantäne ist vorbei, ich darf mich in der Stadt bewegen, bin aber noch unter "Monitoring", d.h. einmal pro Woche geht es zum PCR-Test und es wird empfohlen, sich nicht dort aufzuhalten, wo viele Menschen sind.
Gleichzeitig fällt das Ende der Quarantäne in die Goldene Woche, eine Zeit, in der in ganz China nicht gearbeitet wird, weil vor 72 Jahren die Volksrepublik durch Mao ausgerufen wurde. Ich habe also die Gelegenheit, die Stadt zu erkunden und das mache ich natürlich in vollen Zügen. Der Herbst ist eine schöne Jahreszeit in Schanghai. Es ist hochsommerlich warm, also 32 Grad bei wunderbarstem Wetter!
Der Kunfuziustempel in Lao Xi Men stand auf dem Programm.
Ist Konfuzianismus eine Religion oder eine Philosophie? Die Frage wurde von Europäern seit Beginn der Begegnungen mit China gestellt. Darin spiegelt sich ein Grundunterschied in der abendländischen und der fernöstlichen Denkweise wider. Kategorisieren und Definieren sind analytisch, also europäisch. Die Grenzen zwischen den Definitionen offen zu lassen ist synthetisch, also fernöstlich. Die analytische Frage, ob Konfuzianismus eine Philosophie oder eine Religion ist, ist demnach eine sehr europäische. Die Chinesen sehen darin keinen Widerspruch. In China findet sich die Synthese auch in der späteren Zusammenführung der "Drei Lehren" Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus im Neokonfuzianismus der Ming-Zeit wieder.
Diese unterschiedliche Denkweise - analytisch versus synthetisch - zieht sich durch das westliche und fernöstliche Denken wie ein roter Faden und beeinflusst unser Denken bis heute.
Der Konfuzianismus ist eine praktische Lehre, die sich im Wesentlichen auf das Zusammenleben in der Gemeinschaft, aber auch mit der Natur und den unbelebten Dingen bezieht. Die kleinste Einheit des Zusammenlebens ist die Familie, in der die Hierarchien und Beziehungen klar festgelegt sind.
Das Oberhaupt hat keine Narrenfreiheit, sondern muss durch vorbildliches Leben und das Streben nach Weisheit Verantwortung übernehmen, damit die Gemeinschaft funktioniert. Demnach gibt es im konfuzianischen Denken kein Erziehen durch Strafe, sondern durch vorbildliches, nachahmenswertes Verhalten. Das bezieht sich nicht nur auf die Familie, sondern auf die gesamte Gesellschaft, d.h. auf alle, die Positionen inne haben, die vorbildlich sein müssen: Vorgesetzte, Politiker, Lehrer usw. Nach Konfuzius ist dieses Handeln die Voraussetzung ein "erhabener Mensch" oder ein "Weiser" zu werden, was zur moralischen Vervollkommnung der Gesellschaft führt. Handelt der Herrscher moralisch, werden ihm seine Untertanen folgen, handelt er hingegen unmoralisch, stürzt das den Staat ins Chaos.
Das abendländische Denken stellt nicht die Gemeinschaft in den Mittelpunkt, sondern das Individuum, was schon in der Renaissance begann, was man unter anderem daran sieht, dass die Namen mancher Denker und Künstler jener Zeit berühmter sind als ihre Werke. Allerdings wird erst die Aufklärung als philosophisch begründeter Durchbruch des Individuums gesehen. Im Grunde soll auch im Abendland das Individuum so handeln, dass die Gemeinschaft funktioniert, sonst hätte Kant sich seinen kategorischen Imperativ sonst wohin jubeln können. Die Freiheit, die der Individualismus mit sich bringt und die der Westen als einzige Form akzeptiert, führt heutzutage nicht immer zum Handeln, das einer allgemeinen Gesetzgebung entsprechen könnte, sondern mitunter zu egoistischem Verhalten.
Meine Beobachtung, wie reibungslos hier in China die Menschenmassen den Alltag organisiert bekommen, wie angepasst man sich hier Abläufen unterordnet, ist vielleicht ein Stück Konfuzianismus im Alltag.
Die Begriffe "Anpassung" und "Unterordnung" sind im Westen eher negativ konnotiert. Bei 1.4 Milliarden Menschen wäre ausgeprägter Individualismus in diversen Alltagssituationen nicht unbedingt förderlich. Wenn z.B. in der Rush-Hour Menschenmassen den U-Bahn-Zug verlassen und es circa eine Minute dauert, bis man überhaupt zur Rolltreppe gelangt, weil so viele Menschen dasselbe wollen, ist vorbildliches, gemeinschaftliches Verhalten keine schlechte Tugend.
Wenn in dieser Situation eine starke individualistische Persönlichkeit das Gefühl bekommt, dass ihre Wichtigkeit gerade in der Menge untergeht, hat diese Person ein Problem. Unter Umständen wird ihr Problem auch zum Problem für die Gemeinschaft, wenn diese Person die Situation nicht akzeptiert.
Der enge Zusammenhalt in den Familien ist ebenfalls ein Stück Konfuzianismus. Kinder, die für ihre Eltern sorgen und sie im Alter auch finanziell unterstützen, sind hier eine Selbstverständlichkeit. Daran führt eigentlich gar kein Weg vorbei und dafür ist nicht einmal ein Gesetz nötig.
Der Tempel im Viertel Lao Xi Bang
Das Viertel Lao Xi Bang liegt im Zentrum Schanghais und obwohl es in einer der teuersten Gegenden Schanghais liegt, hat es seinen ursprünglichen Charakter bewahren können. Es ist allerdings bei den Grundstückpreisen fraglich, ob die dortige zweigeschossige Bebauung mit den zusammengeschusterten Häuschen noch lange existiert. In dreißig Jahren wird es dort sicher ganz anders aussehen. Im Moment ist es '"typisch China": viel Betrieb auf den Straßen, Kabelgewirr, überall Menschen, die arbeiten oder mit den Nachbarn plaudern oder sich ausruhen und am Handy spielen, dazwischen unentwegt E-Motorroller, Mini-E-Motorräder.
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Am Rand dieses Gebiets liegt der Konfuziustempel. Wenn man ihn betritt, wird man von einer Oase der Stille umgeben und findet schnell Ruhe und Kontemplation. Der Unterschied zwischen draußen und drinnen ist vergleichbar mit der Stille, die man beim Betreten von weniger bekannten Kirchen z.B. in Köln erlebt, wenn alles Alltägliche und Hektische draußen bleibt und innen eine erstaunliche Stille herrscht.
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Die Anlage des Konfuziustempels ist aus zwei hintereinander liegenden symmetrisch gestalteten Höfen aufgebaut. Man durchschreitet ein Gebäude, dass die Höfe trennt, bis man zum eigentlichen Tempel gelangt, in dem sich das Heiligste befindet. Dort kann man opfern, beten oder seine Wünsche und Bitten hinterlassen.
Auffällig sind bei den einzelnen Gebäuden die ca. 20-30 Zentimeter hohen Türschwellen; behindertengerecht sind solche Anlagen also nicht. Diese Schwellen sollen böse Geister am Eindringen in den Tempel hindern. Ähnliche Schwellen mit gleicher Symbolik gibt es übrigens auch bei norwegischen Stabkirchen.
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Erst auf den zweiten Blick fiel mir auf, dass die gesamte Anlage viel größer ist. Über die Gebäude, die den Hof umgeben, ragen im Hintergrund weitere Dächer hervor, die mich ahnen ließen, dass es noch weitergeht. So ist es auch; die Anlagen von solchen Tempelbezirken bestehen meist aus vielen Gebäuden, die jeweils unterschiedliche Funktionen haben. Vielleicht erinnert dies ein wenig an ein abendländisches Kloster, das teilweise auch wie ein Dorf im Kleinen aussieht, aber oft doch als zusammenhängender Komplex gestaltet ist. Hier im asiatischen Tempelbezirk besteht der Zusammenhang vor allem in der durchgängigen Gestaltung und der schützenden Mauer, die den gesamten Komplex umgibt. Ansonsten sind es freistehende Gebäude, die allenfalls durch einen überdachten Gang miteinander verbunden sind und dazwischen liegen immer wieder die Gartenanlagen, die wie ein kleiner Ausschnitt aus der Natur erscheinen. Diese Integration von Natur in ein Kloster gibt es im Abendland nicht.
Ich empfand das Wandeln durch diese Welt der Spiritualität und Weisheit wie eine kleine Entdeckungstour und so ist es auch konzipiert. Der Weg in die anderen Bereiche ist nicht gradlinig, er führt vorbei an Nischen, Aussichtspunkten, z.B. einer Bank, einem Teich mit einem Pavillon, manchmal entdeckt man noch andere ungeahnte Räume oder Wege, so dass schließlich Zielstrebigkeit von Verweilen abgelöst wird.
Bei der Anlage lässt sich ein wesentliches Prinzip chinesischer Architektur erkennen: In China baute man in die Breite, nicht in die Höhe. So wird auch hier bei jedem einzelnen Gebäude und der gesamten Anlage die Horizontale stark betont. Auffällig sind außerdem die für China typischen, elegant geschwungenen, mit aufwendiger Kunstfertigkeit gestalteten Dächer, die viel Symbolik enthalten. Auf den Firsten befinden sich Tonfiguren, oft Drachen, die das Haus schützen sollen. Außerdem gibt es ganze Kolonnen kleiner tönerner Tiere, teils Fabelwesen, teils reale, wie z.B. den Hahn, ein Symbol der Sonne, weil er sie als erster begrüßt. Er ist ein beliebtes Tier auf Dächern, denn sein Krähen soll ebenfalls Schlechtes fern halten.
Oft haben solche Gesamtanlagen komplexe Dachlandschaften, bei denen Firste und Giebel orthogonal zueinander stehen. Unterschiedliche Dachhöhen und -größen bewirken einen verschachtelten, aber geordneten Eindruck.
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Der Eingang zur Bibliothek, dem Zunjing Pavillon, in dem die klassischen Bücher des Konfuzius und verschiedener anderer Philosophen untergebracht sind. Sie wurde 1484 errichtet. 1931 wurde sie zur ersten Nationalbibliothek in Schanghai.
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Im Garten befindet sich ein größerer Teich, der von einer Pagode und einem Lehrraum für konfuzianische Schüler, der Minglun Halle, umgeben ist. Die Gebäude sind verbunden durch überdachte Wege. Ein kleiner Pavillon ragt in den Teich.
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Das Innere des Inselpavillions. In historischen chinesischen Gärten sieht man häufig Fotosessions, bei denen die Models traditionelle chinesische Kleidung tragen, so wie auch hier.
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Die Minglun Halle war in antiken Zeiten der Lehrraum für konfuzianische Schüler. Er wurde 1351 gebaut.
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