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Ost-Friesland

Diesmal geht es für mich in den äußersten Nordwesten Deutschlands - Ost-Friesland - eine Kulturlandschaft am Meer mit pittoresken Orten und beschaulichen Landschaften. Die Gegend ist ein beliebtes Urlaubsziel, aber der Tourismus ist sanft und nachhaltig, niemals zuviel, aber alles vorhanden: gute Cafés, Teestuben, Restaurants, Bauernhöfe mit Hofladen usw.
Der Menschenschlag ist freundlich und offen, obwohl er wortkarger sein soll als anderswo. Ein freundliches "Moin" hört man überall und generell hat man das Gefühl, dass die Uhren langsamer gehen als anderswo, so dass immer Zeit bleibt für einen angenehmem Klönschnack.
Es wird unterschieden zwischen Ostfriesland im engeren Sinne und Ost-Friesland im weiteren Sinn. Die Schreibweise ohne Bindestrich entspricht dem Territorium der historischen Grafschaft Ostfriesland und umfasst heute die Landkreise Aurich, Leer und Wittmund. Ost-Friesland mit Bindestrich bezeichnet das gesamte Gelände zwischen Dollart und Jadebusen, also die ostfriesische Halbinsel, dazu gehören die ehemalige Grafschaft Ostfriesland sowie das ehemalige Jeverland und das Wangerland.
Wo es ein Ostfriesland gibt, muss es auch ein Westfriesland geben. Das liegt gleich nebenan in den Niederlanden. Ein Nordfriesland gibt es auch, in Schleswig-Holstein, nördlich des Flusses Eider, der zusammen mit dem Danewerk zu Zeiten des Heiligen Römischen Reichs die Grenze zu den Dänen bildete.
Aber zurück zu Ost-Friesland:
Im Westen ist das Gebiet durch den Dollart begrenzt, eine Bucht, in die die Ems mündet, im Osten durch den Jadebusen, eine größere Bucht, die im Mittelalter durch verschiedene Sturmfluten entstand.
Meine Reise durch Ost-Friesland beginnt im Westen, im Wangerland und Jeverland, bevor es weitergeht zu den malerischen kleinen Häfen, die alle auf "-siel" enden und sich an der Küste aneinanderreihen wie Perlen auf einer Schnur. Mit ihren kleinen Häfen voller Krabbenkutter sind sie ein beliebtes Fotomotiv und tauchen in vielen Bildbänden auf. Ein Abstecher zur mondänsten ostfriesischen Insel Norderney gehört ebenfalls zu meiner Reise, bis es weiter geht in die Städte Norden und Leer.
Bei dieser Reise lernte ich Volksfeste kennen, die es seit dem Mittelalter gibt, die ostfriesische Teezeremonie, die zum immateriellen Weltkulturerbe gehört, ich geriet in wechselhaftes Wetter im Herbst, wurde von Regengüssen überrascht, genoss aber auch in Winterjacke gehüllt den Blick aufs Meer vom Strandkorb aus. Lange Spaziergänge am Strand im Herbstwind, Fahrradtouren in den Dünen, das Erkunden kleiner malerischer Marschortschaften und hübscher Städtchen rundeten meinen Trip ab.
Wangerland













Die Friesische Freiheit
Die Friesen waren schon im Mittelalter bekannt für ihr Selbstbewusstsein, ihre Freiheitsliebe und ihre Unabhängigkeit.
Über viele Jahrhunderte hinweg lebten sie frei und ohne einen herrschenden Grafen. Sie regelten ihre Angelegenheiten selbst – mit Zustimmung des Königs und des Reiches. Das Gebiet des freien Frieslands bestand dabei aus vielen einzelnen Regionen, den sogenannten Frieslanden. Diese waren wie selbstständige bäuerliche Gemeinschaften organisiert und ähnelten in ihrer Struktur den freien Stadtgemeinden jener Zeit.
Gemeinsam bildeten diese Regionen einen lockeren Zusammenschluss, der symbolisch als die „Sieben Seelande“bezeichnet wurde. Nur in wichtigen oder gefährlichen Situationen handelten sie gemeinsam – und zwar am Upstalsboom, einem zentralen Versammlungsort bei Aurich. Noch heute gilt der Upstalsboom als Denkmal für die Unabhängigkeit der Friesen. Anders als die Schweizer Eidgenossenschaft entwickelte sich dieser friesische Bund jedoch nie zu einem einheitlichen republikanischen Staat, sondern blieb ein Zusammenschluss freier, selbstverwalteter Gemeinden.
Die tom Brok waren ein einflussreiches Häuptlingsgeschlecht, das eine eigene Landesherrschaft in Ostfriesland begründete. Nach ihrem Sturz durch Focko Ukena und dem Kampf gegen diesen entstand die Herrschaft der Cirksena, ging die Macht der Häuptlinge letztlich auf die Familie Cirksena über, die ab 1464 die Grafschaft Ostfriesland regierte. Die Residenzstadt war Aurich, in der heute noch das Schloss steht, das als Verwaltungssitz, unter anderem das Landgericht, genutzt wird.
Carolinensiel

Die ostfriesische Nordseeküste ist seit Jahrhunderten vom Zusammenspiel zwischen Mensch und Meer geprägt. Besonders deutlich wird dies in den Orten, deren Namen auf -siel enden. Der Begriff „Siel“ bezeichnet ein Entwässerungsbauwerk, das das Binnenland vor Sturmfluten schützt und gleichzeitig den Abfluss von Süßwasser ins Meer ermöglicht. Rund um solche Siele entwickelten sich im Laufe der Zeit kleine Häfen – und mit ihnen die Küstenfischerei, zu der seit dem 19. Jahrhundert auch die Krabbenfischerei zählt. Siele wurden zusammen mit den Deichen gebaut, um das Entwässerungsproblem der tiefer liegenden Marschen zu lösen.
Marschen sind flaches, fruchtbares Schwemmland, das direkt an der Küste liegt und durch marine Sedimente entstand; sie sind anfällig für Sturmfluten und werden deshalb durch Deiche geschützt.

Das Siel im Ort Greetsiel


Viele der heutigen -siel-Orte waren ursprünglich kleine Marschdörfer hinter dem Deich. Erst mit dem Bau von Sielen entstanden Abladestellen für Boote, an denen Bauern und Fischer ihre Waren austauschten. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden diese Stellen zunehmend zu kleinen Hafenplätzen ausgebaut.


Neuharlingersiel

Gefischt wurde früher für den Eigenbedarf: Hering, Butt und andere Plattfische. Die Krabben - regional Granat genannt – galten lange als Beifang. Erst im 19. Jahrhundert begann man, sie gezielt zu fischen. Genau genommen sind Krabben keine Krabben, sondern Garnelen und bei genauer Betrachtung erkennt man die Ähnlichkeit mit ihren größeren und exotischer anmutenden Verwandten aus warmen Gefilden.

Der Aufstieg der Krabbenfischerei im 19. Jahrhundert
Mit zunehmender Industrialisierung und wachsendem Absatzmarkt in den Städten entstanden neue Möglichkeiten. Die Einführung des Granatkochers auf dem Kutter – eines speziellen Kochkessels, in dem die Krabben direkt an Bord erhitzt wurden – revolutionierte das Gewerbe. Dadurch konnten die Fischer ihre Ware länger haltbar machen und sie auch in weiter entfernte Hafenstädte liefern.

Das 20. Jahrhundert: Handwerk, Tradition und Wandel
Um 1900 waren viele ostfriesische Küstendörfer stark vom Krabbenfang geprägt. Männer und Jugendliche fuhren oft noch mit offenen Booten hinaus, während Frauen und ältere Kinder die Krabben von Hand pulten, um sie für den Verkauf vorzubereiten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Krabbenfischerei einen neuen Aufschwung. Viele -siel-Orte modernisierten ihre Häfen, bauten Packhallen und legten Liegeplätze für die wachsende Zahl an Garnelenkuttern an.
Gleichzeitig wurden die Fischereien stärker reguliert: Fangquoten, Schonzeiten, Maschengrößen und Umweltauflagen sollten Überfischung und Schäden an Küstenökosystemen verhindern.

Tourismus und Traditionspflege
Seit den 1960er-Jahren wandelten sich die -siel-Orte durch den aufkommenden Nordsee-Tourismus. Viele Häfen wurden zweigeteilt geführt – ein Bereich für Fischerei, ein Bereich für Ausflugsschiffe und Freizeitsport. Dennoch blieben die Krabbenkutter identitätsstiftend für den Ort.
Heute sind die traditionellen Kutterreihen, wie man sie in Neuharlingersiel oder Greetsiel (kein -siel-Ort, aber historisch eng verbunden), ein beliebtes Fotomotiv. Hafenfeste, Museumsanlagen und Schaufahrten halten die Geschichte lebendig. In Carolinensiel etwa erzählt das Deutsche Sielhafenmuseum ausführlich von der Entstehung dieser einzigartigen Küstenkultur.
Gegenwart und Herausforderungen
Die Krabbenfischerei steht im 21. Jahrhundert vor wichtigen Herausforderungen:
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steigende Betriebskosten
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EU-weite Umweltauflagen
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Rückgänge beim Nachwuchs im Handwerk
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Wettbewerb durch große niederländische Flotten
Dennoch ist das Gewerbe in vielen -siel-Orten weiterhin präsent und bildet eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Für viele Familien ist die Krabbenfischerei ein kulturelles Erbe, das eng mit der Landschaft, der Sprache und der Lebensweise Ostfrieslands verbunden ist.

Badetourismus am Festland in Ostfriesland
Der Badetourismus hat sich an der ostfriesischen Festlandsküste seit dem frühen 20. Jahrhundert zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige entwickelt. Während die Ostfriesischen Inseln schon früh Badegäste anzogen, entstand auf dem Festland erst später eine eigenständige Badekultur – geprägt von Sielhäfen, Deichlandschaften und den Besonderheiten des Wattenmeeres.
Der Badetourismus am Festland ist eng mit den natürlichen Bedingungen der Nordseeküste verbunden:
Das Watt. Die Festlandküste liegt direkt am Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Baden ist nur bei Hochwasser möglich; bei Ebbe entstehen große Wattflächen.
Warum gibt es so viele grüne Strände in Ostfriesland?
Die Nordsee hat starke Gezeiten. An der ostfriesischen Festlandsküste gibt es zwei Mal täglich Ebbe und Flut.
Bei Ebbe fällt das Watt großflächig trocken, bei Flut fließt das Wasser wieder hinein. Dadurch werden Sandablagerungen ständig wieder abgetragen.
Stabile Sandstrände wie an der Ostsee können sich hier kaum natürlich bilden.
Ostfriesland ist von einer langen Deichlinie geschützt.
Diese Deiche müssen stabil, hoch und überwiegend begrünt sein, damit sie Sturmfluten standhalten.
Der Erholungsbereich für Badegäste wird vor oder auf dem Deich angelegt – und dort wächst Gras.
Daher entstehen Grünstrände: Rasenflächen direkt am Wasser, oft leicht erhöht.
Jever






Greetsiel und Pilsum









Norden










Die Ostfriesen und der Tee

In Ostfriesland geht kein Weg am Tee vorbei. Er is so etwas wie ein Nationalgetränk. Der Konsum ist hoch, durchschnittlich trinken Ostfriesen rund 300 Liter Tee pro Person und Jahr.
Damit liegen sie deutlich über dem deutschen Durchschnitt. Der liegt nur bei etwa 28 Litern pro Kopf und Jahr. Im internationalen Vergleich übersteigen die Ostfriesen damit auch Regionen und Länder, die man gemeinhin mit starkem Tee-Konsum verbindet, etwa Großbritannien oder Irland.
Neben der Menge ist auch die Art und Weise des Teegenusses auffällig: In Ostfriesland entwickelte sich über Jahrhunderte ein ausgeprägtes Teeritual - die Ostfriesische Teezeremonie - mit festen Abläufen (Kluntje-Zucker, Sahnewölkchen, Porzellan, Stövchen ...). Für viele Menschen dort ist Tee-Trinken nicht nur Getränk, sondern eine soziale und kulturelle Praxis mit hoher Wertschätzung und Kontinuität über Generationen hinweg.
Sind die Ostfriesen Weltmeister des Teegenusses? Der Vergleich mit anderen Ländern oder Regionen ist schwierig, weil dort oft andere Teesorten, Trinkgewohnheiten oder Erhebungsmethoden existieren. „Weltmeister“ im Sinne einer global einheitlichen Statistik gibt es also nicht mit absoluter Sicherheit.
Aber der extreme Pro-Kopf-Konsum kombiniert mit der jahrhundertealten, lebendigen Teekultur macht diese Region außergewöhnlich im deutschen, europäischen und - je nach Vergleichsmaßstab - auch im internationalen Rahmen.
Deswegen kann Ostfriesland mit Recht als einer der „Weltmeister im Teegenuss“ angesehen werden.
Und weil das Ganze mit einer Teezeremonie verbunden ist, zählt dies auch gleich zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Die ostfriesische Teezeremonie



Die ostfriesische Teezeremonie ist viel mehr als nur ein Heißgetränk – sie ist ein kleines Alltagsritual, das Ruhe, Gemütlichkeit und Gemeinschaft in wenigen Minuten auf den Tisch bringt. Wer einmal dabei war, versteht schnell, warum Ostfriesland als Teetrinker-Hochburg Deutschlands gilt: Hier wird Tee nicht einfach getrunken, hier wird er zelebriert.

Zuerst kommt der Kandis - im Norden liebevoll „Kluntje“ genannt - in die Tasse. Diese großen, glitzernden Zuckerstücke knacken herrlich, wenn später der heiße Tee darüber gegossen wird. Dieses Knacken gehört für viele Ostfriesen fest zum Erlebnis. Durch den heißen Tee bekommt der Kluntje Sprünge und Risse und zerfällt im Laufe des Teegenusses in kleinere Stücke, die dann mehr Oberflächlich als der ganze Kluntje haben, wodurch der Tee stärker gesüßt wird. Ein Kluntje reicht für mehrere Tassen. Drei Tassen zu trinken ist kultureller Brauch, der tief in der Gesellschaft verwurzelt ist. Es gibt die Redewendung „Dree is Oostfreesen Recht“ (Drei sind Ostfriesenrecht).
In die Tasse Tee gehört immer ein Löffelchen Sahne, die mit dem sogenannten Rohmlepel (Rahmlöffel) hinzugegeben wird. Der Rohmlepel wird dabei am Rand der Tasse entlang geführt und zwar GEGEN den Uhrzeigersinn, denn das Teeritual ist eine Pause, in der die Zeit gefühlt angehalten wird, deshalb GEGEN die Zeit. Die Sahne sinkt langsam in der Teetasse nach unten und steigt dann, wenn sie warm geworden ist, als kleines Wölkchen - das sogenannte Wulkje - wieder nach oben.
Wichtig dabei: Umrühren ist tabu! Die Ostfriesen genießen ihren Tee in drei Schichten - oben sahnig, in der Mitte mild, unten süß. So schmeckt jeder Schluck ein bisschen anders.
Der Löffel, der dabei iegt, hat nur einen Zweck: Will man keinen Tee mehr, legt man den Löffel in die Tasse und zeigt damit, dass man genug hat.
Zur Teezeremonie gehört aber nicht nur der Geschmack, sondern genauso die Atmosphäre: Man sitzt zusammen, erzählt, lacht, schweigt auch mal gemütlich und hat eine kleine Auszeit vom Alltag. Selbst spontane Besuche werden in Ostfriesland oft mit „Komm rein, willst 'n Tee?“ begrüßt. Dieses Ritual verbindet Menschen – früher wie heute.


Norderney





































Emden


Rysum







Ems






Ditzum, Critzum







Leer






















