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Alltag an einer chinesischen Schule


Nicht gerade Alltag, aber trotzdem schön. Schüler einer (nicht meiner) Mittelschule haben dieses Video mit dem chinesischen Superstar Zhou Shen produziert. Um zum Video zu gelangen, einfach aufs Bild klicken.

Ganquan Foreign Language School, Shanghai

An der Ganquan Foreign Language School, an der ich unterrichte, gibt es ca. 1700 Schüler und ca. 200 Lehrer.

Wie überall in China tragen die Schüler Uniformen.

Die Schule beginnt hier schon um 7:30 und endet um 17:00 oder um 18:00 Uhr. Die Länge eines Schultages kann in China je nach Provinz erheblich variieren. In manchen Gegenden dauert die Schule sogar bis in den späten Abend. Shanghai ist bei der Dauer milder, hat aber ein nicht weniger effizientes Schulsystem, denn bei den Leistungsrankings schneidet die Stadt immer ziemlich gut ab.

Die Schullandschaft Chinas ist nicht einheitlich. Peking gibt einen Rahmen vor, in dem jede Provinz selbständig gestalten kann.

In manchen Provinzen ist die Klassengröße riesig, man kann es sich kaum vorstellen, aber es ähnelt eher einer Vorlesung. Hier in Schanghai beträgt die Größe ca. 40 Schüler pro Klasse.

Woanders gibt es in den Schulen auch noch das selbstständige abendliche Lernen, bei denen die Schüler mehrere Stunden an ihrem Platz sitzen und üben. Das ist schon ein besonderer Kraftakt, den man sich in Deutschland ebenfalls nicht vorstellen kann und den ich persönlich für Kinder und Jugendliche unglaublich anstrengend finde.


Die Schüler gehen von Klasse 6 bis 12 auf die sogenannten Mittelschulen, die einem deutschen Gymnasium entsprechen, der Abschluss ist das Abitur, auf Chinesisch: Gao Kao.

Eine Wahlmöglichkeit von Fächern nach Neigung gibt es nicht. Hier wird vorgeschrieben, was dazu gehört: Mathematik, Chinesisch, Fremdsprache, MINT-Fächer usw.


Der Tag fängt morgens immer mit einem reichhaltigen Frühstück an. Warm und kräftig, niemals kalt und süß wie in Deutschland. Ich mag vor allem diese heißen Suppen, die im Winter richtig gut tun.

Die Vor- und Nachmittage sind jeweils durch eine große Pause unterbrochen.

Vor der ersten großen Pause um 9:30 Uhr geht es auf den Sportplatz, wo zur Nationalhymne die chinesische Flagge gehisst wird, danach folgt zehn Minuten Morgengymnastik. Ich finde es ziemlich knuffig, wenn meine Abiturienten sich zu diesem Ritual aufstellen wie seit Kindertagen und es einfach mitmachen.

Morning Gymnastics Chinese School, Morgengymnastik chinesische Schule

Vormittags und nachmittags gibt es an meiner Schule jeweils vier Stunden Unterricht. Dazwischen liegt das Mittagessen mit einer anschließenden einstündigen Pause, in der manche Schüler und Lehrer eine Art Mittagsschlaf halten. Als ich das erste Mal sah, dass Kollegen im Lehrerzimmer schlafen, traute ich meinen Augen nicht, aber es ist ein Ritual und wirklich erholsam.

Auch das Essen hat hier in China einen ganz hohen Stellenwert. Wenn es z.B. Besprechungen gibt, die in die Pause hineinragen, was ohnehin kaum der Fall ist, da die Essenszeiten die Planung bestimmen, werden die Mahlzeiten warm gestellt. Das Mittagessen fällt unter keinen Umständen weg.

Letzte Woche nahmen mein chinesischer Deutschkollege und ich die mündliche Prüfung für das Deutsche Sprachdiplom bei den angehenden Abiturienten ab.


Die Leistungsbereitschaft und der Druck in China sind hoch. Allein die Leistungen im Fach Deutsch sind beeindruckend und die Prüfungen anspruchsvoll.

Meine Abschlussklasse für das Deutsche Sprachdiplom. So sehen angehende chinesische Abiturienten aus, die gerade das Diplom auf C1-Niveau geschafft haben und entsprechend erleichtert sind - wahrscheinlich auch stolz. Mit diesem Abschluss haben sie direkten Zugang zu einer deutschen Hochschule.


Kompetenzorientiertes Lernen steht an Chinas Schulen ebenfalls wie in Deutschland hoch im Kurs. Im Fach Deutsch werden Sachtexte Diagramme und Statistiken analysiert. Fremdsprachenkenntnisse sind dabei natürlich eine zusätzliche Kompetenz, aber die Inhalte und die Herangehensweise ähneln eher den Fächern Sozialwissenschaften, Wirtschaft und Politik, z.B. ökologischer Umbau, Gleichberechtigung, Zukunft für selbstfahrende Autos, Elektroautos, Konsumgesellschaft usw.

Auf dem Foto unten bin ich gerade mit Achtklässlern bei den Mülltonnen, um mit ihnen über die Mülltrennung zu sprechen, die mittlerweile in China zumindest in den Metropolen eingeführt wurde.

Mit Schülern der achten Klasse an den Mülltonnen, Thema: Mülltrennung


Sprachliche Fächer sind immer auch Kulturfächer, in denen Landeskunde vermittelt wird. Um Weihnachten herum brachte ich Lebkuchenhäuser mit, die ich bei IKEA besorgt hatte, parallel dazu besprachen wir die Märchen der Brüder Grimm, auch passend zu den Lebkuchenhäusern "Hänsel und Gretel". Oder die Schüler lernen Spiele kennen wie "Mensch, ärgere dich nicht", "Fang den Hut" oder "Skat". Im Gegenzug bringen mir die Schüler das chinesische Spiel "Mahjong" bei.


Weniger kompetenzorientiert scheint mir der Unterricht in Fächern wie Chinesisch zu sein. Die Schüler lernen die klassischen Texte auswendig, sowohl mündlich wie schriftlich, wobei gerade die Schriftlichkeit eine besondere Herausforderung darstellt, da sich die Zeichen im Laufe der Jahrhunderte stark verändert haben.

Eine schöne Anekdote ereignete sich, als ich in eine achte Klasse kam, in der gerade vorher Chinesisch unterrichtet worden war. Auf der digitalen Tafel war noch eine traditionelle Landschaftsmalerei zu sehen sowie ein Gedicht von Li Bai, einem der bekanntesten chinesischen Dichter der Tang-Dynastie. Ich bat meine Schüler, mir zu erklären, was das Besondere an dieser Lyrik sei und staunend hörte ich zu, als mir Achtklässler die Form, den Inhalt, die zeitliche Einordnung und die Melancholie dieser Lyrik auf Deutsch erklärten.


Die Wertschätzung der eigenen Kultur ist in China hoch. Das sieht man besonders, beim Betreten der Räume, in denen Kalligraphie unterrichtet wird. Sie ähneln eher einem Museum als einer Schule.

Der Raum für Kalligraphie

Calligraphy, Kalligraphie, Chinese, Chinesisch

Der Raum für Kalligraphie

Calligraphics teaching room, Kalligraphie Unterrichtsraum

Der Raum für Kalligraphie

Calligraphics teaching room, Kalligraphie Unterrichtsraum

Der Raum für Kalligraphie

Calligraphics teaching room, Kalligraphie Unterrichtsraum

Der Raum für Kalligraphie

Der Raum für Kalligraphie


Kalligraphie und Kunstarbeiten, die im Eingangsbereich der Schule ausgestellt sind:

Calligraphics Chinese School, Kalligraphie chinesische Schule

Calligraphics Chinese School, Kalligraphie chinesische Schule



Viel Personal für einen ziemlich großen Betrieb


Einer der auffälligsten Unterschiede im Vergleich zu einer deutschen Schule ist die Menge des Personals, das nicht zum Lehrkörper gehört. Es gibt etliche Pförtner, die rund um die Uhr die Eingänge bewachen. Auch im Wohnheim für Schüler, die einen weiten Schulweg haben und deshalb während der Woche auf dem Campus wohnen, sind Aufsichten 24 Stunden anwesend. Randale im Wohnheim, Jungenbesuche in Mädchenzimmern usw. sind vollkommen ausgeschlossen und wenn irgendetwas nicht funktioniert oder man Fragen hat, ist sofort jemand zur Stelle. Im Wohnheim gibt es eine Aufsicht im Aufenthaltsraum, in dem die Schüler abends noch lernen, jemand hilft in der Waschküche, einige Leute halten stets das Gelände sauber, für die Lehrkräfte wird alles kopiert, Computerfachleute und Handwerker gibt es auch; man lernt sie kennen, wenn es entsprechende Probleme gibt.


Wie sieht der Schulalltag eines Lehrers aus?


Lehrer sind von 8:00 bis 17:00 Uhr in der Schule und erledigen größtenteils einen Bürojob, bei dem sie zwischendurch zum Unterricht gehen. Der Unterricht nimmt im Arbeitstag den geringeren Teil ein, also bleibt genügend Zeit zum Korrigieren, Vorbereiten und was sonst noch alles anfällt. Vor allem sind Kollegen immer ansprechbar, was manche Abläufe erleichtert. In Deutschland lief aus meiner Sicht ein Großteil der berufsbezogenen Kommunikation über E-Mails ab. Außerdem erledigen deutsche Lehrer außerunterrichtliche Arbeit zu Hause, was vermutlich zu dem in Deutschland weit verbreiteten gesellschaftlichen Bild beiträgt, dass sie wenig arbeiten.


Jeder Lehrer in China hat einen eigenen Schreibtisch mit Regalen, Schubladenschrank, Stromanschluss und natürlich WLAN. In meinem Lehrerzimmer arbeiten zehn Sprachenlehrer. Dadurch, dass man den ganzen Tag zusammen ist, stellt sich so etwas ein wie ein Kollegiumsgefühl. Meine Kollegen haben immer gute Laune, vor allem am Freitag, schlechte Stimmung habe ich hier noch nie bemerkt. Leider verstehe ich ihre Witze nicht - ist ja alles auf Chinesisch.

Das Lehrerzimmer für die Fremdsprachenlehrer, neben Deutsch wird Französisch, Koreanisch, Japanisch und Spanisch gelehrt. Englisch ist nur zweite Fremdsprache und hat in der Stundentafel wenig Raum.


In Deutschland traf ich manche Kollegen selten, da sie Teilzeit arbeiteten oder ihre Stunden sich nicht mit meinen überschnitten. Manchmal verließen deutsche Kollegen am Donnerstagmorgen um viertel nach zehn das Lehrerzimmer und wünschten ein schönes Wochenende. Auch die Kommunikation über E-Mails schaffte für mein Empfinden eine Abstraktion, die das Gefühl des Einzelkämpferdaseins erhöht, das in Deutschland von Lehrern oft beklagt wird. Das Zeitmanagement eines deutschen Lehrers, der gleichzeitig noch Familientermine und mehr koordinieren muss, macht straffe Planung notwendig. In China muss man nichts koordinieren. Als Lehrer ist man einfach den ganzen Tag in der Schule. Das erleichtert auch die individuelle Förderung von Schülern. Wenn sie Extra-Aufgaben bekommen, werden sie einfach ins Lehrerzimmer gesetzt und arbeiten dort eine Stunde. Wenn Schüler Fragen haben, können sie jederzeit die Lehrer aufsuchen, die ja nicht unter Zeitdruck stehen und daher immer spontan für Belange der Schüler ansprechbar sind.


Kann man in China bei der zeitlichen Belastung durch den Ganztagsberuf eine Familie haben? Man kann, eigentlich haben alle meiner Kollegen Kinder, die ebenfalls den ganzen Tag in ihrer eigenen Schule sind. Das Alltagsleben von berufstätigen Eltern wird entlastet durch die Großeltern. Der Familienzusamenhalt in China ist extrem groß und nicht selten leben drei Generationen in einer Wohnung, auch weil die Immobilienkosten in Shanghai durch die Decke gegangen sind. Großeltern übernehmen dann das Einkaufen, Kochen, Haushalt-Machen und die Großväter holen abends die Enkelkinder von der Schule ab, so sich dass allabendlich vor dem Schultor ein Auflauf von Senioren einfindet. Viele mit ihrem elektrisch betriebenen Moped, mit dem sie das Enkelkind nach Hause fahren.


Für deutsche Lehrer im Auslandsschuldienst ist es oft schockierend, dass man plötzlich den ganzen Tag im Lehrerzimmer anwesend sein muss. Aber dadurch entwickelt sich eine andere Auffassung des Berufsbildes. Meine Kollegen haben ihre Arbeitsplätze schön eingerichtet, es macht Spaß abends zusammen zu gehen und morgens alle zu grüßen. Vor allem hat man wirklich Feierabend. Wenn man darüberhinaus noch etwas zu Hause erledigt, ist es freiwillig und belastet daher nicht.


Lehrer-Schüler-Verhältnis


Das Lehrer-Schüler-Verhältnis ist anders als in Deutschland. Ein Lehrer hat hier in erzieherischen Fragen das gleiche Gewicht wie die Eltern. In der Oberstufe wurde ich gefragt, ob die Klasse mich duzen dürfe, ein Lehrer sei ja so etwas wie ein Freund der Schüler. So etwas zu hören, ist schon sehr ungewöhnlich. Ich werde hier von allen Schülern geduzt und es ist ein angenehmes Gefühl.

presents teachers' day china, Geschenke zum Lehrertag, China

Geschenke der Schüler an ihre Lehrer. Der Teachers Day ist ein wichtiger Tag im Schuljahreskalender.


Wie anstrengend ist Schule für die Schüler in China?


Generell gilt, dass Schule in China ein Kraftakt für die Schüler ist. Der Konkurrenzdruck ist hoch, wenn man einen guten Platz in der Mittelschicht der Gesellschaft finden will. Wieder einmal braucht man nur die 1,4 Milliarden Menschen zu erwähnen, um zu verstehen, warum. Im Schnitt kommen jedes Jahr über 9 Millionen Abiturienten auf den Markt. Chinesische Schüler wissen, was Arbeiten und Lernen bedeutet. Das Gao Kao gilt als eine der härtesten Schulabschluss-prüfungen der Welt.

Dies rief die Politik auf den Plan, die mittlerweile außerschulischen Zusatzunterricht verboten hat, da er weiteren Freizeit- , Kindheits- und Jugendverlust bedeutet und auch die Chancengleichheit unterläuft. Ob es andere Schlupflöcher für Nachhilfe gibt, sei dahingestellt.

Zusatzunterricht in sportlichen und künstlerischen Fächern bleibt erlaubt. Auch darin sind chinesische Schüler gut. Neulich ging ich durchs Foyer der Schule, als ein Schüler am Flügel saß und umstanden von seinen Mitschülern spontan aus dem Kopf den 3. Satz von Beethovens Mondscheinsonate spielte. Schwieriger geht es wohl kaum.


Wer eine Aufnahmeprüfung an einer guten chinesischen Hochschule schafft, ist wirklich überdurchschnittlich. Daher sinkt auch die Attraktivität eines Auslandsstudiums. Es scheint sich so etwas wie der Gedanke zu entwickeln: If I can make it here I can make it everywhere. Dreißig Jahre nachdem der unglaubliche wirtschaftliche Aufschwung begann, ist China selbstbewusst geworden, besinnt sich wieder auf seine eigenen Fähigkeiten und bewundert nicht grundsätzlich alles, was aus Europa oder Nordamerika kommt.

Eine Schülerin, die das Deutsche Sprachdiplom letztes Jahr hier an der Schule erwarb, erhielt ein Stipendium des DAAD und lehnte es ab, weil sie auch die Aufnahmeprüfung an der besten Hochschule Shanghais geschafft hatte. Sie studiert jetzt Philosophie und wird sicher mit einem Abschluss an ihrer Hochschule eine glänzende Karriere in China machen.

Zu der Entscheidung gegen ein Studium in Deutschland führten natürlich auch andere Einflussfaktoren wie das Coronavirus.

Ferner werden Chinesen auch vorsichtig wegen anderer Vorkommnisse wie dem Mord an der Studentin Li Yangjie in Chemnitz im Jahr 2016. Der Mord war ein großes Thema in den chinesischen Medien und die sozialen Netzwerke, die in China eine größere Bedeutung haben als bei uns, tun ihr übriges.

Manchen Chinesen gefällt es vielleicht auch nicht in Deutschland. Die Stille in Deutschland ist für manchen Chinesen befremdlich, vor allem an Sonntagen, wenn in kleineren Städten oder auch in Großstädten die Bürgersteige hochgeklappt werden und man nichts zu essen bekommt, erleben Chinesen einen echten Kulturschock. Manche finden Deutschland sogar ein bisschen langweilig. Wer in Shanghai lebt, hat eine hohe Messlatte. An diese Metropole kommt nicht viel heran. Das ist, als würde man New York vergleichen mit München.


Die Erfahrungen, die Chinesen in Deutschland machen, können aber auch positiv sein. Meine Kollegen scheinen das Land zu lieben. Sie studierten in Freiburg, Heidelberg, Essen, Hamburg, Bonn, Bielefeld und Jena. Manche davon hatten eine richtig gute Zeit, fanden deutsche Freunde und hatten viel Spaß, erzählen Anekdoten, wie sie sich vor dem Besuch auf dem Weihnachtsmarkt in Bonn mit Freunden eine Flasche Amaretto gekauft hatten, um die Kosten für den Schuss in der heißen Schokolade zu sparen oder wie sehr sie sich in Hamburg in den Geschmack von Franzbrötchen mit Cappuccino verliebt hatten und sich das jeden Morgen zum Frühstück erst einmal gönnten.



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