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Harbin, einer der kältesten Orte Chinas und ein Stück sino-russische Geschichte



In Harbin, ganz oben im Norden Chinas ist im Winter viel los: Alljährlich lockt das größte internationale Winterfestival der Welt mit gigantischen Schnee- und Eisskulpturen. Russische Kultur ist allgegenwärtig und lässt einen manchmal vergessen, dass man in China ist. Außerdem leben in der nördlichsten chinesischen Provinz Heilongjiang sibirische Tiger - sogar in freier Wildbahn.


Es ist kalt in Harbin, sehr kalt, und man muss sich auf diese Reise vorbereiten, denn minus 25 Grad sind Normalität, minus 15 Grad könnte man fast als mild bezeichnen.

Man muss nicht unbedingt dicke Winterkleidung kaufen, wie sie die Bewohner Sibiriens im Winter stets tragen. Als Tourist braucht man sie nach dem Besuch Harbins nie wieder, aber einige warme Schichten Kleidung sind geboten. Außerdem sind die überall erhältlichen Wärmepads besonders hilfreich. Man klebt sie auf die Unterwäsche, wo sie über zwölf Stunden angenehm warm halten. Damit kann man von morgens bis abends im Freien bleiben, ohne zu frieren, den ganzen Tag die klare, frische Luft genießen und die Schönheit des Winters bewundern, die hier gefeiert wird, wie nirgends sonst. Harbin zelebriert den Kult um eisige Kälte und Schnee, strahlendes Weiß und blauen Himmel bei Sonnenschein.


Selbstklebende Wärmepads, die man auf der Unterwäsche anbringen kann. Sie sind mit einem Pulver gefüllt, das Wärme erzeugt. Angst vor Verbrennungen muss man nicht haben, es wird nicht heiß. Damit kann man es sehr gut bei minus 20 Grad aushalten.


Das morgendliche Anziehen dauert seine Zeit, man legt Schicht über Schicht, klebt die Wärmepads auf empfindliche Punkte, (Tipp: Auch unter die Fußsohlen, aber von außen auf die Socken jeweils ein Pad. Es hilft Wunder.) Ich trug acht Schichten: Unterhemd, Thermo-Unterwäsche, zwei langärmelige Oberteile, darüber Flanellhemd, Sweatshirt, Pullover, eine dünne Jacke und darüber eine Winterjacke, an den Beinen zwei lange Unterhosen, eine davon mit Thermoqualität, dazu die Pads, darüber eine Jeans, das reicht.

Wenn man damit abends in ein gut geheiztes Restaurant geht, um ein Barbecue, die typische Spezialität der Provinz Heilongjiang, zu genießen, ist es angenehm warm und wird nicht zur Hitzequal. Überhaupt empfhielt es sich, den Tag nach langem Aufenthalt in der eisigen Wintermärchenwelt abends wohlig im Restaurant bei einem Harbin-Bier und leckeren, gegrillten Köstlichkeiten ausklingen zu lassen.



Der Bau der transsibirischen Eisenbahn


Zu den Eigentümlichkeiten Harbins gehört, dass die Stadt vollkommen russisch wirkt. Der Amur, Grenzfluss zwischen Russland und China, heißt auf chinesisch Heilongjiang und nach ihm ist auch die nördlichste chinesische Provinz benannt. Harbin ist deren Hauptstadt.

Die Stadt ist jung für chinesische Verhältnisse, wo man das Zählen in Jahrtausenden gewohnt ist. Sie wurde 1889 als Haltepunkt an der Transsibirischen Eisenbahn errichtet, die ab den 1870er Jahren vom zaristischen Russland gebaut wurde, um Sibirien zu erschließen, die dortigen Bodenschätze besser abtransportieren zu können und den Handel mit China zu beleben.


Die erste Lok, die in Harbin ankam, steht im Zentrum der Altstadt. Die Bedeutung von Bahnstrecken ist im heutigen Bewusstsein verschwunden. Sowohl die Erschließung des Wilden Westens in Amerika als auch Sibiriens wären ohne den Bau großer, transkontinentaler Eisenbahnstrecken nicht möglich gewesen.


Die Mandschurei unter russischer Kontrolle


Mitte des 19. Jahrhhunderts hatte Großbritannien China durch die Opiumkriege unter Kontrolle gebracht und gezwungen, die benachteiligenden "Ungleichen Verträge" bedingungslos zu akzeptieren. Die nachfolgenden Zeiten, die in China als "Jahrhundert der Demütigung" bezeichnet werden, und erst durch den Sieg der Kommunisten 1949 beendet wurden, sollte bei der Betrachtung der Beziehungen Chinas zu den westlichen Staaten nicht außer Acht gelassen werden. Diese Zeit ist im heutigen chinesischen Bewusstsein sehr lebendig und prägt das von Vorsicht und weniger von Vertrauen geprägte Verhältnis Chinas zu Europa. Auf europäischer Seite sind diese Ereignisse im allgemeinen Bewusstsein so gut wie vergessen, was vielleicht zu mancher Fehleinschätzungen der Beziehungen zu China führen kann.

An der Ausbeutung Chinas beteiligte sich auch Russland und erlangte die Kontrolle über die Mandschurei. Die Strecke der Transsibirischen Eisenbahn verlief zwischen den russischen Städten Tschita und Wladiwostok über die beiden chinesischen Provinzen Innere Mongolei und Mandschurei. Harbin wurde gegründet und von dort führte eine weitere Eisenbahnstrecke zum eisfreien Hafen Dalian ans Gelbe Meer im Süden. Diese beiden Bahnstrecken, die auf der Landkarte die Form eines T's bilden, bezeichnet man auch als Ostchinesische oder Transmandschurische Eisenbahn.



Die Altstadt Harbins ist von russischer Architektur geprägt: Souvenirläden, Restaurants, Teesalons. Kyrillische Aufschriften lassen einen vielerorts teilweise fast vergessen, dass man in China ist.



Typisch russisches Interieur: Säulen, viel Gold, wuchtige Kronleuchter etc. Russlands Vorstellung von europäischer Hochkultur, an der man sich seit Zar Peter dem Großen orientierte.


Ein bisschen plüschig, Samt und geraffte Gardinen gehörten auch zur vorrevolutionären russischen Kultur.









Früchte mit Zuckerguss, eine Leckerei aus Peking, die sich aber erfolgreich in ganz China durchgesetzt hat.


Besonders gut schmecken Weißdorbeeren - wie ein säuerlicher, grüner Apfel. Dazu die knusprige Zuckerglasur - perfekt.



Trubotschki, ein Gebäck, das auf Holz aufgewickelt und dann über dem Grill gebacken wird. Anschließend wird es mit Eis oder Sahne gefüllt.


Russische Schokolade - härter als gewohnt, schmeckt aber gut.


Jede Menge russische Souvenirs, hier die Matrjoschka. Auch Nussknacker werden massenweise angeboten. Man hält sie für russisches Kulturerbe, obwohl ihre heutige figürliche Form als Förster, Gendarm, Husar oder König 1870 im Erzgebirge von dem Kunsthandwerker Friedrich Wilhelm Füchtner erfunden wurde.




Die orthodoxe Sophienkathedrale wurde 1907 gebaut. Mit der Übernahme der Macht durch die Kommunisten 1949 wurden sämtliche christliche Missionierungsversuche in China beendet und die Kathedrale geschlossen. Um ein Haar wäre sie in der Kulturrevolution zerstört worden, wenn sie nicht als Warenlager für eine nahegelegenes Kaufhaus gedient hätte. Erst in den 1990er Jahren wurde die Kirche restauriert, die Bäume, die bereits aus ihrem Dach wuchsen, entfernt und die zugemauerten Fenster wieder geöffnet. Heute ist die Kirche ein Denkmal.


Blick in die Kuppel der Sophienkathedrale





Der Bezirk Lao Dao Wei


Russische Beschilderungen verweisen heute noch auf die Geschichte der Stadt, wie hier im Bezirk Lao Dao Wei, der im Stil des sogenannten chinesischen Barock errichtet wurde und in den letzten Jahren touristisch herausgeputzt wurde. Alte Kontore, Geschäfts- und Wohnhäuser aus Ziegelsteinen vermitteln das Gefühl einer Zeitreise. Angenehm, dass sich hier wenige westliche Ketten niedergelassen haben. Hauptsächlich gibt es chinesische Geschäfte, Restaurants und Cafés, Bäckereien, Souvenir- und Antiquitätenläden.

Man flaniert durch Straßen, entdeckt dahinterliegende Höfe mit umlaufenden Emporen, einem kleinen Museum und etlichem mehr.





Typische russische Alltagsgegenstände wie ein Samowar. Russen lieben Tee, der übrigens aus China kam - der sogenannte russische Tee, auch Karawanentee genannt, mit dunkelroter Farbe und einem leicht rauchigen Geschmack. Der Tee wurde früher in rechteckige Quader gepresst, sogenannte Ziegel, die auch zur Bezeichnung "Ziegeltee" führten, so das man ihn auf dem Rücken von Pferden besser transportieren konnte. Der rauchige Geschmack soll angeblich von den Lagerfeuern stammen, die in Vorzeiten nachts beim Transport auf der Tee-Pferde-Route gemacht wurden und deren Rauch dann in den neben den Lagerfeuern abgestellten Ziegeltee eingezogen sein soll. Außerdem soll die Wärme auf dem Rücken der Pferde zur Reifung des Tees beigetragen haben. Ziegeltee wird überall in Harbin verkauft. Er sieht nicht aus wie Tee, weil er so dicht gepresst wird, dass man Stücke von dem Block abbröckeln muss, die man im Mörser zerkleinert, um anschließend mit dem Pulver Tee aufzugießen.


Ein typisches Bett in Nordchina. Auffällig ist der gemauerte Sockel, darunter befindet sich eine Feuerstelle. Nordchinesische Schlafstätten wurden beheizt. Im Winter können die Temperaturen nachts auf minus 40 Grad fallen.


Ein Stadtplan der alten russischen Stadt


Mit den Russen kam auch die jüdische Kultur in den fernen Nordosten Asiens, nach Sibirien und in die Mandschurei. Litauen im weit entfernten Europa hatte einst die Juden ins Land geholt und war im Mittelalter eines der größten Reiche Europas. Später, nachdem Litauen extrem viel Territorium verloren hatte, lebten ehemals litauische Juden in der Ukraine, Russland, Weißrussland, Polen usw. - das osteuropäische Judentum, die Ashkenasim.



Das Restaurant Lao Zhang Baizi war früher staatlich, jetzt ist es privat. Durch seine große Beliebtheit ist es immer voll, aber Wartezeiten sind in China immer erträglich, meistens bekommt man schon nach zehn Minuten einen Platz.



Eigenartig für Europäer, dass Chinesen beim Essen oft ihre Jacke nicht ausziehen. Auch die Essmanieren sind teilweise sehr anders als bei uns.


Der Brottrunk - nicht nur bei uns im Reformhaus erhältlich, sondern auch in der Mandschurei. Russland lässt grüßen. Nach Deutschland kam er übrigens erst nach dem 2. Weltkrieg. Deutsche Kriegsgefangene brachten die Idee der Brotfermentierung aus sowjetischer Kriegsgefangenenschaft mit.


Die Umgebung dieses Distrikts ist noch sehr ursprünglich, ebenfalls mit russischer Bebauung, die teilweise etwas heruntergekommen ist, was den Häusern einen gewissen morbiden Charme verleiht.



Das internationale Schnee- und Eisfestival


Jedes Jahr erfolgt der offizielle Festival-Startschuss am 5. Januar. Es ist ein Festtag, zu dem die ganze Stadt frei bekommt. Man kann aber schon weitaus vorher die Eiswelten genießen und bestaunen. Die folgenden Aufnahmen aus dem Jahr 2023 entstanden alle schon um Weihnachten. Der Aufbau der gesamten Skulpturen und Bauwerke beginnt Wochen vor dem offiziellen Start, so dass Ende Dezember schon vieles bereit ist und man kaum bemerkt, dass noch nicht alles in Gänze fertig gestellt wurde.

Insgesamt gibt es bei diesem Festival mehrere große Bereiche, die über die Stadt verteilt sind. Die Schneeskulpturen werden auf der Sun Island im Fluss errichtet, die Ice and Snow World befindet sich auf dem zugefrorerenen Songhua Fluss, das Eislaternenfest im Zhaolin-Park.

Darüber hinaus gibt es auch in der Altstadt massenweise Eisskulpturen und Schneefiguren.

Es wird so viel geboten, dass man mindestens ein Wochenende in der winterlichen Stadt verbringen kann. Da Harbin nicht gerade um die Ecke liegt und die Anreise einige Zeit in Anspruch nimmt, sind drei Tage für den Wintertrip angemessen.



















Tigerwelt in Harbin


Der sibirische Tiger lebt im Norden Chinas, Russlands und Nordkoreas.

Der wilde Bestand ist stark bedroht, weshalb es diese Tigerfarm gibt, in der 800 Tiger leben, deren Tiere ausgewildert werden, darunter auch der weiße Tiger, der als besonders gefährlich gilt und deshalb in einem gesonderten Gehege lebt, während seine Artgenossen relativ frei in sehr weitläufigen Arealen herumlaufen.


Die Fahrt in das Gebiet war wie im Film Jurassic Park. Torschleusen schließen und öffnen sich automatisch. Niemals sind beide Tore geöffnet. Und dann geht es hinein in die Welt der Raubkatzen, in deren Beuteraster auch Menschen fallen. Die Fenster der Busse sind doppelt vergittert, die Reifen ebenfalls, so dass die Tiger sich nicht nicht daran abarbeiten können.


Sibirische Tiger lieben Kälte und Schnee. Völlig entspannt verbringen sie den gesamten Tag draußen bei sehr weit unter dem Gefrierpunkt liegenden Temperaturen.

Die extreme Kälte scheint ihnen überhaupt nichts auszumachen. Im Gegenteil, sie freuen sich anscheinend über den Schnee und tollen darin herum.


Die Katzen kommen direkt an den Bus heran, weil sie wissen, dass sie von den Touristen gefüttert werden, die Fleischstücke mit Zangen durch die doppelte Vergitterung halten. Die Tiere strecken sich nach oben und halten sich mit ihren Vorderpranken direkt am Gitter fest. Dabei kann man aus nur ca. 30 Zentimetern in den Schlund der riesigen Katzen blicken, deren Atem in der eisigen Luft kondensiert. Es ist beeindruckend.




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