Wir fuhren zum Flughafen, der bei der Ankunft ein Gespensterszenario war.
Jetzt stellte sich heraus, warum - wir waren in dem Teil gelandet, an dem pro Tag vielleicht zwei/drei Flüge aus dem Ausland ankommen. Beim Weiterflug innerhalb Chinas ging es in einen anderen Teil des Gebäudes und dort erwartete uns das pralle Leben. Überall Menschen, Geschäfte. Wahnsinn!
Der Flughafen ist der Hammer. Gigantisch, klar und übersichtlich aufgebaut, pikkobello sauber und gepflegt. Man muss leider sagen, dass der größte Flughafen Deutschlands verglichen damit klein, hässlich, verdreckt und ziemlich konzeptlos ist.
Aber solche Eindrücke bekommt man in China öfters, wenn man Vergleiche zu Deutschland zieht.
Vor dem Abflug gab es am Check-In noch Torte, weil die Fluggesellschaft 20-jähriges Jubiläum hatte. Ich stellte mich also in die Warteschlange und weil ich Ausländer bin, wurde mir das nächste Stück Kuchen vor allen anderen gebracht. Gastfreundschaft auf chinesische Art – schon fast ein bisschen beschämend.
Wir, die Handvoll Europäer, die nach Shanghai flogen, betraten als letzte das Flugzeug. Wir wurden bis zum Einstieg begleitet, man achtete darauf, dass wir zuletzt ins Flugzeug gingen und wir saßen auch ganz hinten - vermutlich auch eine Corona-Sicherheitsmaßnahme. Als ich in das Flugzeug stieg, sah ich nur Chinesen und da wurde mir klar, dass ich jetzt richtig in China angekommen war, ganz weit weg von Europa. Bis dahin hatte ich ja fast keinen Chinesen ohne Ganzkörperverkleidung gesehen.
Beim Abflug lief alles reibungslos und absolut pünktlich - ich konnte es nicht fassen. Punkt viertel nach drei rollte die Maschine auf die Startbahn. Das Boarding ging schnell, zügig und ganz stressfrei.
Vor allem die Pünktlichkeit und Reibungslosigkeit überall hier sind frappierend, denn man hat es ja mit diesen gewaltigen Menschenmassen zu tun.
Es ist ein Phänomen. Das Unterordnen unter Notwendigkeiten, die einen zügigen Ablauf ermöglichen, scheint Chinesen keinen Zacken aus der Krone zu brechen. Sie machen es, ohne sich dadurch herabgesetzt zu fühlen. Es gibt keine Pöbeleien, besserwisserische Sprüche oder Aufforderungen, dies oder jenes zu begründen, keine Diskussionen, bei denen man wieder Recht haben will usw. Kurz: Keine Reibung bei Abläufen, keine Dissonanzen. Deutsche würden sagen, dass Chinesen sich leicht unterordnen, weil sie das Unterdrückt-Sein gelernt haben, keinen Freigeist haben usw. Die deutschen Mitreisenden meckerten schon daran herum, dass wir am Flughafen stets begleitet wurden: „Kindergarten hier, oder watt?“
Egal, jetzt habe ich Deutschland ja erst einmal hinter mir.
Beim Anflug auf Schanghai flogen wir über das Yangtse-Delta. Ich habe noch nie so viele Frachtschiffe auf einen Blick gesehen. Es waren unzählige. So weit das Auge reicht nur Delta und Schiffe. Wieder kam ein Vergleich zu Europa, der Ärmelkanal wäre vergleichbar, ob der aus der Luft auch so aussieht?
Wir landeten wieder an einem völlig gigantischen Flughafen, an dem ich ja schon einmal vor zwei Jahren war. Und wieder lief alles absolut reibungslos. Kein Warten, nichts. Am Ausgang empfing mich mein Kollege George und wir fuhren mit dem Taxi in die Stadt. Kurz noch die Trasse des Transrapid neben uns und schon sah man von weitem die Skyline.
Besonders sticht der Shanghai Tower heraus, das zweithöchste Gebäude der Welt. Die Chinesen haben aber vor kurzem beschlossen, dass sie beim Rennen um die höchsten Gebäude nicht mehr mitmachen. Nur noch bis dreihundert Meter - Begründung: Alles andere ist Verschwendung und bringt nichts. Und weiter wurde begründet: Man muss nicht immer das Größte, Höchste haben, um selbstbewusst zu sein.
Als wir in den Innenstadtbereich hineinfuhren, war es bereits dunkel und die Stadt lebte - und sie lebt richtig! Um uns herum fuhren Scooter, Minimotorräder, Fußgänger auf den Straßen, Menschen auf den Gehsteigen, Verkäufer vor ihren Geschäften. Ich schaute aus dem Taxifenster und sah das Viertel, in dem ich für die nächsten Wochen wohnen werde. Das moderne Schanghai mit Transrapid und Flughafen wirkte auf einmal ganz weit weg. Plötzlich hatte die Stadt diese Atmosphäre, die es wirklich nur in ganz große Metropolen in warmen Klimazonen gibt, wo sich das Leben auf der Straße abspielt. Dort sind die Viertel überschaubar, kleine, alltägliche Dinge haben Platz. Lauter kleine Geschäfte, aber keine einzige internationale Kette, Garküchen, Boutiquen, Gemüseläden, Metzger, Fischhändler mit allerlei lebendem Getier und überall die Menschen auf Motorrollern, Fahrrädern, die mit Materialien so beladen sind, dass der Fahrer dazwischen verschwindet usw.
Ankunft im Hotel. Dann der Blick aus dem Hotelzimmer. Auf dem Platz gegenüber tanzt jeden Abend eine Gruppe von Seniorinnen; das gehört zu den waschechten Traditionen Chinas. Hier hängt die Wäsche vor den Fenstern, hier wird morgens Qigong gemacht und es gibt kleine Supermärkte, die etwas wirr aussehen und in denen die Wahrscheinlichkeit, dass jemand Englisch spricht, absolut null ist, in denen die Dinge so preiswert sind wie bei uns vor 30 Jahren, allerdings weiß man bei 70% der Produkte sowieso nicht, was sie sind, an der Fleischtheke stehen die Senioren vormittags in Massen, um für das Mittagessen einzukaufen, auf einer kleinen Mauer sitzen Männer und plaudern. Es ist schön hier.
Jenseits von Nanjing Lu (Nanjing Road), Waitan (Bund) und Renmin Guangchang (People's Square) mit diesen gigantischen Luxusfilialen gibt es eben noch das alte Shanghai, von dem so oft gesagt wird, dass es verschwunden ist, aber ich wohne irgendwie mittendrin.
Ich komme zum Ende, denn der Abend ist fortgeschritten und ich muss schlafen gehen, 23 Uhr, das merkt man auch am Leben auf der Straße. Die ist nämlich jetzt ziemlich ruhig geworden. Man kann es sich nicht vorstellen, aber Shanghai schläft nachts. Hier kann man mit offenem Fenster schlafen, es ist einfach ruhig. Nur ab und zu kommt mal ein Taxi vorbei. Die Beleuchtung der Skyline wird ab 22 Uhr abgeschaltet, die U-Bahn macht ab halb elf die Tore zu, ab 23 Uhr ist Schluss.
Häufiger Anblick: Wäsche vor den Fenstern
Eine der unzähligen Garküchen, hier werden Dumplings zubereitet, gedünstete Hefeklöße - vielleicht in gewisser Weise vergleichbar mit kleinen Germknödeln - aber gefüllt sind sie auf verschiedenste Weise, von herzhaft bis süß.
Seniorinnen beim Gruppentanz, ein allabendliches Ritual, das zu den chinesischen Traditionen gehört. Ob es eines Tages mit der älteren Generation verschwinden wird?
In China sollte man auch Nudelsuppe mit Stäbchen essen können, sonst kriegt man bei vielen Gerichten ein Problem. Hier sieht man zwar einen Löffel, aber den nimmt man als Hilfsmittel dazu. Vorher fischt man die glitschigen Bandnudeln, das dünn geschnittene Fleisch und das Gemüse aus dem Sud.
Hier habe ich mir mal einen Exportschlager aus Hong Kong gegönnt, Eierwaffel, Gai Daan Jai. Eigentlich ist nur die Form das Gimmick. Das Waffeleisen wird zugeklappt, um 180 Grad gedreht, so dass sich darin der Teig verteilt. Die Waffeln werden nach dem Backen zusammengerollt und mit allerlei gefüllt: Sahne, Eis, Toppings, Streusel usw. Mir reichte die Grundform. Dass es Schokolade war, wusste ich gar nicht, die junge Frau redete ununterbrochen auf mich ein und hatte dabei sichtlichen Spaß vor ihren Kollegen, weil die Kommunikation voll nicht funktionierte. Dabei kam Schokolade heraus.
Vom letzten Stück der Nanjing Lu (Nanjing Straße), einer der größten und luxuriösesten Einkaufsstraßen der Welt geht der Blick direkt auf den Oriental Pearl Tower.